Gerät ein Punkt in der Arbeit „Schwarmverhalten“ in Bewegung wird er zur Linie und zur Spur einer Route. Dadurch entsteht ein Versuch Bodenwege und Routen zu fixieren und zu konservieren. Eine Linie ist eine gedankliche Bewegung von Punkt zu Punkt. Aktionen bilden sich durch ins Bild fließende Linien. Verdichtungen von Linien lassen andeuten, dass ein Bewegungsfluss, gar eine schnelle Strömung eines Schwarms zustande kommt. So schnell wie sie gekommen sind, geraten die Linien langsam in den Stillstand eines Punktes. Die gezeichneten Linien verlaufen in einem Zeitstrahl des Bewegungsflusses, auf dem eine Konservierung der Bewegungsabläufe stattfindet. Subjektiv sollen die Linien wahrgenommen und erfahren werden. Graphische Formen gewinnen folglich eine narrative Dimension. Nicht nur Menschenmassen werden durch räumliche oder gesellschaftliche Regeln in ihrer Bewegung gelenkt, auch die Natur. Diese wird durch Einwirkungen von außen geformt und verformt.
Weiße Linien auf einem schwarzen Untergrund lassen verschiedenste Formationen und Bildmotive andeuten, die der Betrachter ohne nähere Informationen nicht entschlüsseln kann. Die gezeichneten Spuren wirken strukturiert und erheben den Anschein, mit einem System und einer Ordnung gesetzt worden zu sein. Die Bilder sind mit einem Gelstift gezeichnet und weisen dadurch überall den gleichen Druck und die gleiche Stiftstärke auf. Die Bildsprache ist begrenzt auf die Formen Punkt und Linie. Ein kontrastreicher Mustermix in schwarzweiß lässt aus den vielen Punkten und Linien viele verschiedene Motive entstehen. Die Zeichnungen begrenzen sich nicht in einem Format. Sie reichen von quadratischen oder rechteckigen Formen bis hin zu langen Bahnen.
Der Bildinhalt oder das Konzept ist auf den ersten Blick bei der Arbeit „Schwarmverhalten“ nicht klar oder eindeutig zu lesen. Ein Spiel mit Assoziationen und verschiedenen Eindrücken soll den Betrachter anregen, nachzudenken um welche Situation oder welchen Bildinhalt es sich handelt. Impressionen, wie das Motiv eines Schaltsystems aus der Elektrik, Tiere, Drehorgeln oder Satellitenaufnahmen, könnten bei den Zeichnungen vermutet werden. Der jeweilige Bildtitel wird dem Betrachter erst nach dem Anschauen des Bildes genannt. Diese bewusste Lenkung lässt eine Gedankenfreiheit und ein unvoreingenommenes Auseinandersetzen mit dem Bild zu. Nur der Arbeitstitel oder auch die Hauptüberschrift „Schwarmverhalten“ ist zu diesem Zeitpunkt bekannt. Die Untertitel sind klare, präzise und kompakte Bezeichnungen und beschreiben die dargestellte Handlung. Es wird der Ort des Geschehens, die Uhrzeit, das Datum des Beobachtens und die Dauer der Beobachtung genannt. Der Untertitel ist nötig, um den Bildinhalt eindeutig zu verstehen. Wenn die Herangehensweise zum Lesen des Bildinhalt verstanden wurde, können die Zeichnungen der Arbeit Schwarmverhalten wie Bodenweg- Tanzchoreographien gelesen werden. Der Beobachter besitzt nun die Möglichkeit seine „neu erlernte Bodenwegsprache“ bei anderen Motiven anzuwenden. Alle meine Zeichnungen präsentieren öffentliche Orte, die für die Gesellschaft gebaut und entworfen wurden. Es sind Räumlichkeiten, die für jeden aus unserer Gesellschaft frei zugänglich sind. Der Betrachter der Bilder muss jedoch nicht den exakt dargestellten Aufenthalts- oder Durchgangsort der Zeichnungen schon einmal in Realität gesehen haben, um meine Arbeiten verstehen zu können. Die Örtlichkeiten sind austauschbar und haben die gleichen Verhaltens-, Ordnungs- oder Strukturmuster vorzuweisen. Das heißt, die Handlungsabläufe der dargestellten Szenen sind der Gesellschaft aus dem Alltag, ihrem Leben und ihrer Kultur bekannt. Bei genauer Betrachtung der Bilder und dem Kennen der Bildsprache, lassen sich oftmals „Alltagsphänomene“, „Handlungsabläufe“ oder „Verhaltensregeln“ aus unserem Leben entschlüsseln. Die Bilder selbst setzen nicht ein Individuum ins Zentrum, sondern errichten dem anonymen Kollektiv ein Monument. Jede Linie und jeder Punkt gehört zu einer anonymen Person. Somit ist eine Unterscheidung unmöglich, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung diese Spur der Bodenwege hinterlässt. Die breite Masse, die Gesellschaft wird hier zu einer abstrahierten, herunter gebrochenen Einheit.
Der Gelstift mit der Stärke 0.5 mm und einheitlicher Härte lässt hinsichtlich der Oberflächenstruktur keine Variationen. Die Darstellungsform beschränkt sich somit auf die Grundformen Linie und Kreis. Zusammen ergibt sie eine nacherzählte Tanzformation eines Bodenwegs. Die Begrenzung des Raumes in den Zeichnungen und Animationen zu der Arbeit „Schwarmverhalten“ wird erreicht, indem alle Linienwege auf schwarzem Papier gezeichnet oder auf einer schwarzen Ebene animiert werden. Die schwarze Grundebene beschreibt den bespielten Raum. Die weißen Zeichenspuren dienen als die bewegte und belebte Ebene. Die weißen Linien präsentieren somit die Masse des Schwarms.
Auch wenn es scheint, dass die Zeichnung bis in das kleinste Details definiert ist, neigt sie dazu, fragmentarisch bis unentschlossen zu bleiben. Die Linie weist ins Unendliche, will weitergezogen und weitergedacht werden, auch vom Betrachter. Die einzelnen Linien drängen sich scheinbar über das Blatt hinaus.
Die Bedeutung Zeit spielt eine tragende Rolle in den Zeichnungen. Die Bilder könnten als Langzeitbelichtungen oder überlagerte Filmstils gesehen werden. Jede Szenerie ist in einer unterschiedlichen Zeitspanne festgehalten. Es kann sich um Sekunden, aber auch um Minuten handeln, in denen die Sequenz beobachtet und dokumentiert wurde. Man findet subjektive Nacherzählungen von Empfindungen, die in Grafiken verzeichnet wurden. Sie stellen keine wissenschaftlich fundierte Arbeit über das Raumverhalten einer Masse dar. Ausschnitte aus Alltagssituationen werden in den Zeichnungen und Animationen als Nacherzählung präsentiert. Ich selbst treffe die Entscheidung meiner subjektiven Analyse, welchen Ausschnitt ich aus einem öffentlichen Raum nehme oder wie lange ich die Sequenz beobachte. Alle Zeichensequenzen der Arbeit Schwarmverhalten werden aus der Vogelperspektive dargestellt. Der Blick von Oben ist für das menschliche Auge bzw. aus der menschlichen Position heraus eigentlich gar nicht möglich. Trotzdem habe ich für meine Zeichnungen diese Position des „göttlichen Blicks“ gewählt. Der Blick von oben ist für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts alltäglich geworden. Neben den bereits früher vorhandenen Naturgegebenheiten (wie Berge) ist es durch das Nutzen von Fortbewegungsmitteln (wie Heißluftballone und Flugzeuge) oder neue Hilfsmittel (wie Drohnen, Satellitenaufnahmen) für uns völlig normal geworden diesen Blick einzunehmen.